Wenn ich ehrlich bin, habe ich meinen Vater nie ganz verstanden. Er hat sein ganzes Arbeitsleben bei dem gleichen Arbeitgeber verbracht und hat sich all die Jahre immer ganz schön reingehängt. Auch jetzt, nachdem er seit ein paar Jahren in Rente ist, blitzen seine Augen, wenn er über alte Projekte spricht. Ein Leben für den Kali-Bergbau.
Ich selbst habe meine Jugend immer in Sichtweite dieser hässlichen Halden verbracht und mein Taschengeld im Lager „aufm Schacht“ aufgebessert. Die Begeisterung dafür ist allerdings nie so richtig übergesprungen. Gut, der Zusammenhalt unter Bergleuten ist beeindruckend – beim Steigerlied bekomme ich immer noch Gänsehaut. Das allein aber kann ja nicht der Grund sein, warum mein Vater und sämtliche seiner Kollegen sich selbst im Urlaub kaum über etwas anderes unterhalten konnten als Kali. Er meint, vieles läge daran, dass man sich früher einfach persönlich besser verstand, ab und an ein Bierchen zusammen trank und hart in der Sache streiten konnte. Ich habe so eine Vermutung, dass mehr dahintersteckte.
Forschung im Schutzraum
Zum Glück hatten wir in den letzten Wochen viel Zeit zum Reden und so erzählte ich ein wenig über meine Arbeit bei V&S und die Dinge, die wir bei unseren Kunden erreichen wollen. Klar, mehr Wertschöpfung, mehr Innovationskraft, Begeisterung für die Arbeit. Echte Verantwortungsübernahme ohne limitierende Antrags- und Reportingstrukturen. Ich erzählte von Schutzräumen für Entwicklungsabteilungen, also die offizielle Erlaubnis Dinge einfach zu tun, anstatt monatelang auf das „Go“ der Geschäftsführung zu warten… Da wurde mein Vater, ehemals Geschäftsführer, hellhörig.
Er hatte seine Karriere in genau so einer Forschungsabteilung begonnen. „Wir hatten neben den Routine F+E -Aufgaben eine Menge Freiraum neue Ideen zu entwickeln.“ Budget? „Das war seinerzeit noch nicht so kleinteilig untersetzt, so dass genügend Spielraum bestand, neue Dinge zumindest im Kleinmaßstab zu testen.“ Anträge? „Wurden erst gestellt, nachdem in Vorversuchen gezeigt werden konnte, dass genügend Einsparpotenzial bestand. Wir hatten immer die Möglichkeit zunächst kleine Versuche zu machen, dann schauen, ob man es skalieren kann. Die Abstimmungsprozesse liefen dabei immer Face to Face und unkonventionell.“ Reporting? „Wenn wir was Spannendes gefunden haben, konnten wir es vorstellen, aber wenn nicht, dann nicht.“ Resultate? „Diverse industriell genutzte Patente in unterschiedlichsten Bereichen, von Kali zu Kunststoff. Und ein Verfahren, wie man Salzhalden abdecken und begrünen kann.“ Okay, scheint was bei herumgekommen zu sein…
Der Zauber der Selbstwirksamkeit
Meine Vermutung ist, dass dieses Erlebnis von Selbstwirksamkeit einen Menschen das ganze Berufsleben prägen kann. Wer das einmal erlebt hat, sieht nicht nur die eigene Arbeit, sondern auch den Arbeitgeber in einem anderen Licht. Es wird ein Stück „dein Laden“. Für Menschen meiner Generation ist es ungleich schwerer in bestehenden Unternehmen eine ähnliche Erfahrung zu machen. Controlling- und Reportingstrukturen und das Bedürfnis sich und das Unternehmen gegen jedweden Schaden abzusichern haben ein Korsett geschaffen, das überall zwickt. Wir merken, dass es irgendwie nicht passt und vielleicht sogar unnötig ist, aber wir haben nur eine vage Vorstellung, dass es auch anders gehen könnte. Die Philosophie Risiko gleich Null führt leider nur zu Stillstand.
Am Ende geht’s um den Nutzen
Spätestens an diesem Punkt wurde mir klar, dass „New Work“ irgendwie nicht besonders „New“ ist. Eher eine Wiederbelebung längst vergessener Muster. Und dass saugute Zusammenarbeit eben nicht nur daher kommt, dass man sich gut versteht, sondern dass der Kontext dafür gegeben sein muss. Es braucht eine Mischung aus wohlwollender Haltung, ausreichend großer Freiräume und ein gemeinsames Verständnis über die übergeordnete Herausforderung. Nichts schweißt mehr zusammen, als gemeinsamer Erfolg (oder auch Misserfolg) und scheinbar scheint es Personen auch unweigerlich an „ihre“ Unternehmen zu schweißen. Und ganz nebenbei erntet die Organisation das, worauf sie zwangläufig angewiesen ist: Innovation und wirtschaftlichen Erfolg.
Experiment
Je nachdem in welcher Position Sie arbeiten fällt Ihnen eine andere Rolle zu:
Sind die Entscheider? Geschäftsführerin? Entwicklungsleiter? Dann stiften Sie den passenden Schutzraum! Schreiben Sie z.B. ein Entwicklungsvorhaben als offenes Thema aus. Wer auch immer sich bewirbt, wird zunächst eingeladen mitzuwirken. Geben Sie dem Team von Freiwilligen die Möglichkeit sich kurz (!) abzustimmen und dann gehts ab in den gläsernen Schutzraum. Sie stellen Budget und Ressourcen zur Verfügung, das Team arbeitet ohne Störungen von außen, aber gewährt Einblicke in die Arbeit. Aber ohne Statusreports und Rechtfertigungsorgien. Nach einem im Vorfeld definierten Zeitraum wird Bilanz gezogen. Kam was bei raus? Wenn ja, super! Wenn nicht, haben alle Beteiligten vermutlich viel gelernt. Auch das ist ein Grund zu Feiern!
Sind Sie Entwicklerin? Haben Sie eine Idee, die Sie gerne intensiv bearbeiten wollen? Trommeln Sie die Menschen zusammen, von denen Sie denken, dass sie mitwirken werden. Sehen Sie alle das Potenzial? Dann wägen Sie ab: Finden Sie die nötige Unterstützung von Ihren Führungskräften? Wenn ja, einbinden! Wenn nicht, bleiben Sie noch ein wenig unter dem Radar, bis Sie sicher sind, dass die Idee zündet. Das nennen wir übrigens U-Boot. Nicht unbedingt der sinnvollste Platz für Entwicklungen, aber manchmal der Sicherste. Wichtig ist nur: Irgendwann auftauchen!